Verkehr in München: Debatte um Tram-Nordtangente – München

„Wir zahlen Steuern!“, ruft eine wütende Bürgerin aus der Menge in das Stimmengewirr. „Das ist doch ein Witz“, schreit ein anderer dazwischen. Etwas mehr als zehn Minuten nach der Eröffnung der Diskussionsrunde droht Gesa Tiedemann (Grüne) vom Bezirksausschuss Schwabing-West, die Veranstaltung abzubrechen. Gemeinsam mit ihrem Amtskollegen Patric Wolf (CDU) aus Schwabing-Freimann leitet die BA-Chefin eine Bürgerinformationsveranstaltung, auf der Vertreter der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) und des städtischen Mobilitätsreferats den ersten Planungsabschnitt der geplanten Tram Nordtangente vorstellen und diskutieren wollen.

Auf 1,2 Kilometern will die MVG im besagten ersten Abschnitt vom Schwabinger Elisabethplatz über die Franz-Joseph- und Leopoldstraße bis zur Münchner Freiheit eine neue Tramstrecke bauen. Die darauf folgenden Planabschnitte Nummer zwei und drei, die an diesem Abend noch gar nicht zur Diskussion stehen, verlaufen laut Planskizzen durch den Englischen Garten und weiter bis nach Johanneskirchen. Ziel des Projekts soll die Entlastung „hoch belasteter Innenstadt-Haltestellen“ sein. Neuhausen und Johanneskirchen sollen in Zukunft besser verbunden sein, das verkehrsbelastete Stadtzentrum einfacher vermieden werden können. Das Verkehrsaufkommen im öffentlichen Nahverkehr wird laut Mobilitätsreferat und MVG in den nächsten Jahren steigen. In ihren Prognosen geht sie allein im sogenannten „Westast“ durch die Franz-Joseph-Straße bereits heute von täglich 28 000 Fahrgästen aus.

Diese Berechnungen zweifeln viele der versammelten Bürger mehrfach an. „Woher kommen die Nutzungszahlen?“, fragt Anrainerin Yacine Coco. Sie und andere erzählen von häufig leeren Bussen in Schwabing und gehen von einer maßlosen Überschätzung der Fahrgastzahlen aus. Anja Wetzel von der MVG beschwichtigt. Es gehe in der Verkehrsplanung „um die Spitzenstunden“, also um die Zeiten der größten Belastung des Verkehrsnetzes. Ihr Kollege Ulrich Osthöver versichert, es handele sich um ein „renommiertes Verfahren“, führt dies jedoch nicht weiter aus. Ohnehin stütze sich die MVG auf „relativ konservative Prognosen“. Stefanie Diesch vom Mobilitätsreferat erklärt und unterstreicht bei Bedarf die Argumente der MVG.

Auf Unmut stößt bei den Teilnehmern der Infoveranstaltung das Ausweichen bei der Frage nach der Finanzierung des Projekts. „Sie haben für alles eine Erklärung, nur über die Kosten wissen Sie nichts“, beklagt sich Hiltraud Pfeiffer-Wetcke unter Applaus. Stadtrat Thomas Schmid (CSU) legt wenig später nach: „Wir fragen seit anderthalb Jahren nach den Kosten. Die CSU-Stadtratsfraktion ist gegen diese Tramtangente.“

MVG und Mobilitätsreferat halten an diesem Abend dicht. Billig dürfte es nicht werden, planen die Verantwortlichen doch neue Streckenverläufe und Radwege, die in der Leopoldstraße in den geplanten Rad-Schnellweg münden. „Wie viele Parkplätze entfallen dadurch?“, fragt ein Zuhörer. 184 Parkplätze verschwinden ganz, in der Leopoldstraße werden 78 weitere zu Anwohnerparkplätzen umgewandelt. Der Wunsch nach mehr Elektrobussen wird mehrfach geäußert, doch die Planer sind von der Straßenbahn überzeugt.

27 Wortmeldungen im Atrium des Oskar-von-Miller-Gymnasiums und noch eine Handvoll von den gut 50 Online-Teilnehmern verzeichnet Co-Moderator Patric Wolf nach zweieinhalb Stunden hitziger Diskussionen. In der Einladung zur kurzfristig einberufenen Sitzung sah Wolf die einzige Möglichkeit, „dass sich Bürgerinnen und Bürger vor der Befassung der beiden BA […] zu Wort melden können und ihre Anregungen, Wünsche und Kritik vortragen können“. In den kommenden Wochen stimmen die Bezirksausschüsse über das Projekt ab, im Anschluss der Stadtrat.

Trotz des straffen Zeitmanagements der Veranstaltung konnten viele Detailfragen beantwortet werden, Kernfragen rund um Kosten, Verkehr und E-Mobilität blieben dagegen teilweise auf der Strecke. Am 13. Mai, vor der Behandlung des Projekts im Stadtrat, organisiert die MVG selbst eine weitere Online-Veranstaltung „als Information zum aktuellen Projektstand“.

Das öffentliche Interesse an der Tram-Nordtangente reicht über Schwabing hinaus. Unter den Gästen befanden sich Stadträte und der Landtags-Vizepräsident Wolfgang Heubisch (FDP). Für die Mitarbeiter der MVG und des Mobilitätsreferat zählt der Abend in Schwabing auf Nachfrage zu den milderen. Sie kennen die emotionalen Diskussionen mit Anrainern und Lokalpolitik, wenn vor der eigenen Haustür gebaut wird.

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